Patrick Felser

„Du bist voll von dem, was dir fehlt!“ Part III

Dein Blog über Psychologie, Coaching, Resilienz und Bewusstsein.

Part III – Schlussfolgerungen

Geschichten aus der Vergangenheit und Einblicke in unsere Zukunft. Verhaftet sein in dem, was einmal war und verzweifelte Versuche, dem zu entkommen, was wir befürchten und die zwei Fähigkeiten, denen wir die Macht über unser Wohlergehen geschenkt haben.

Ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen und eine lebhafte, intensive Vorstellungskraft. 

Erinnerungen (Vergangenheit): 

Fähigkeiten beschreiben natürliche Begabungen, die uns mitgegeben wurden und die sich ohne unser aktives Zutun entwickelt haben und weiterentwickeln. Natürlich können wir diese aktiv trainieren, um weiteren Nutzen daraus ziehen zu können. 

Unser Erinnerungsvermögen ist demnach eine Fähigkeit, mehr oder weniger ausgeprägt, mehr oder weniger trainiert. Es ist eine dieser Fähigkeiten, die wir schon immer hatten und die wir vermutlich nicht einmal als eine Fähigkeit wahrnehmen, es sei denn, sie ist außergewöhnlich stark ausgeprägt. 

Unser Erinnerungsvermögen ist, was es ist, ohne jeglichen Wert und Nutzen. Wir sind diejenigen, die Wert und demnach Nutzen hineinlegen.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass wir unser Erinnerungsvermögen meist nutzen, um gefilterte Informationen abzurufen. Zunächst nehmen wir durch unsere 5 Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) Informationen auf. Bevor wir aktiven, also bewussten Zugang zu diesen Informationen erhalten, filtert unser Gehirn den größten Teil heraus. Wir bekommen also nur einen Bruchteil der Informationen zur bewussten Verfügung gestellt. Und auf Grundlage dieser Selektion bewerten wir und treffen anschließend eine Entscheidung. 

Unsere aktiven Filter entscheiden darüber, welche Informationen für uns zugänglich sind und welche nicht. 

Diese Filter entwickeln sich bereits vor unserer Geburt und werden auch danach laufend angepasst. Wichtige Einflussfaktoren können hier zum Beispiel unsere Erziehungsberechtigten, enge Freunde, (für uns) wichtige andere Personen oder unser Umfeld sein. Erinnerst du dich daran, dass deine Meinung sich zu einem bestimmten Thema durch nur wenige Worte oder Eindrücke komplett geändert hat? Da wurde ein Filter angepasst und ein anderer weiter verstärkt:) 

Je mehr Erinnerungen (Informationen) wir also sammeln, desto mehr Bestätigung erhalten einige unserer Filter (andere werden angepasst). In jeder Gesellschaft werden bestimmte Filter mehr oder weniger gefördert bzw. Als wertvoll akzeptiert oder eben nicht. Ein vielleicht kontroverser Filter als Beispiel? Ok, los geht`s:

“Alkohol ist ok, aber hau mir ab mit diesen Drogen!”

Ich möchte hier nicht auf die genaue Definition von Drogen eingehen, aber bei einer nur etwas neutraleren Betrachtung wird schnell klar, dass da möglicherweise ein gesellschaftlich akzeptierter Filter aktiv ist? 

Was sollen also diese Filter, wenn Sie doch die Gefahr mit sich bringen, vorschnell und nur beeinflusst denken, fühlen und handeln zu können? 

Sie erfüllen genau diesen Zweck, handlungsfähig zu sein und zu bleiben. Der aktuelle Wissensstand in Europa ist, dass unser Gehirn 11 Millionen Informationen in einer Sekunde aufnehmen kann. 11.000.000!!! Ein kleiner Vergleich: Im Durchschnitt nehmen wir 7 Millionen Atemzüge pro Jahr. Stell dir also vor, du würdest alle diese Atemzüge und noch mehr innerhalb von einer Sekunde nehmen. Unser Gehirn kommt damit klar, du und dein Körper auch?:) 

Unser Gehirn reduziert (filtert) diese Informationsmenge auf ca. 40 Eindrücke, die dann bewusst verarbeitet werden. Hiervon können wir dann ca. 7 (plus/minus 2) bewusst präsent halten. Und auf Grundlage dieser Reduktion fühlen, denken und handeln wir, treffen Entscheidungen und gestalten unser Leben. (Kleine Site-Info: Bei Autisten wird vermutet, dass diese Filter anders eingestellt sind und demnach viel mehr Informationen ins Bewusstsein strömen könnten.)

Wir befinden uns also in einer Art Zwiespalt. Wir benötigen die Filter, um handlungsfähig zu bleiben. Wir schränken uns aber auch ein und verpassen möglicherweise wichtige Informationen. 

Was hat das also jetzt mit unserem Erinnerungsvermögen zu tun? 

In der Regel speichern wir das als Erinnerungen ab, was wir bewusst als Informationen wahrgenommen haben. Ein klassisches Eis: Vanille, Schoko, Erdbeere mit Sahne im Hörnchen. Wir nehmen die Farbe der Eissorten, der Sahne und das Hörnchen wahr, wir nehmen die unterschiedlichen Düfte wahr, wir spüren es in unserer Hand, auf unseren Lippen, in unserem Mund. (Manchmal auch auf unserem T-Shirt, aber das dann eher ungewollt). Wir schmecken die verschiedenen Sorten und das Hörnchen, wir spüren die Kälte… Kurz gesagt, wir genießen das Eis. Und jetzt überlege mal, dass wir nur ca. 7 dieser Eindrücke in einer Sekunde bewusst wahrnehmen. Was wir wohl verpassen, bei den anderen 10.999.993?? 

Als Erinnerung wird also gespeichert: Eis = schöne Farben = Lecker = Sonne = Warm = Sommer = gutes Gefühl. Spätestens wenn wir erwachsen werden, wissen wir aber auch, dass Eis als Grundlage der Ernährung langfristig eher ungesund ist, im schlimmsten Fall macht es dick 😛. Diese eigentlich schöne Erinnerung wird also ein wenig getrübt und kann gemischte Gefühle auslösen. Unser Filter hat sich geändert. 

Wir wissen aber in der Regel nicht genau, was das Eis ungesund macht und was genau in unserem Körper geschieht und welche Menge Eis unbedenklich für unsere Gesundheit ist. Wir verlassen uns da auf unsere Erfahrungen, also unsere Erinnerungen. Vielleicht haben wir Artikel darüber gelesen, vielleicht mit einem Experten gesprochen, was auch immer, wir haben unsere Filter justiert. 

Unsere Erinnerungen sind recycelte Informationen, die so oft wiederholt wurden, dass wir sie als wahrhaftig betrachten. 

Was passiert, wenn wir etwas wiederholen? Zum Beispiel Autofahren. Wir werden vertrauter mit den Vorgängen. Wir haben den Eindruck, dass wir besser werden. Nach 10 Jahren Autofahren wissen wir, was Autofahren ist und was es nicht ist. Wir sehen uns als Veteranen oder Profis an (Frage doch mal einen Beifahrer, wie er deine Fahrweise bewertet, es könnt eine interessante Unterhaltung werden:)) 

“Fleisch gehört zur Ernährung eines Menschen dazu.” “Politiker sind alles nur Geld und machtgeile  Arschlöcher.” “Früher war alles besser.“ “Das wird bei uns anders gemacht.” “Weihnachten ist halt Weihnachten” 

Wir festigen unsere Meinung aufgrund von Informationen, die wir immer wieder abrufen und mit der Zeit werden diese Informationen zu unserer Wahrheit, unserem Alltag, sie werden ein Teil von unserem aktiven Selbst. 

Wenn wir etwas mit unserer Erinnerung (also unserer Vergangenheit) vergleichen, nehmen wir uns die Möglichkeit, es in Gänze wahrzunehmen.

Vermutlich habt ihr schon eine Idee, wo die Schlussfolgerung endet. Erinnerungen, die wir so oft benutzen, bewusst oder unbewusst, werden also zu unserer Wahrheit. Sie werden also zu einem Teil von uns, nicht nur von unserer Vergangenheit, sondern auch zu einem Teil unseres Jetzt. Kurz gesagt, wir identifizieren uns mit diesem Teil unserer Vergangenheit und machen es damit zu einem Teil unserer jetzigen Realität. Alles, womit wir uns identifizieren, ist in der Regel an einen hohen Wert gebunden, den wir in diese Identifikation legen. Was wir als wertvoll betrachten, versuchen wir zu schützen, zu bewundern oder zu besitzen. Alles was wir als wertlos betrachten, versuchen wir zu vermeiden, gegebenenfalls zu verachten, loszuwerden oder Abstand zu gewinnen. 

Wen oder was betrachtest du als wertvoll? Wen oder was betrachtest du als wertlos? Es hat tatsächlich eine fundamentale Bedeutung. Diese Wertschätzung, diese Gedanken, diese Gefühle, diese Erinnerungen bestimmen, was du heute wahrnimmst und damit auch, was du denkst, fühlst und wie du dich entscheidest, also wie du handelst. 

Identifizieren wir uns mit Erinnerungen, machen wir die Vergangenheit zu unserer Gegenwart. 

Grundsätzlich ist dies bis zu einem gewissen Grad hilfreich, erinnert ihr euch an den Teil des Überlebens? Aber wenn wir erlauben, dass unsere Identifikation mit Erinnerungen überhand nimmt, übernimmt unsere Vergangenheit unsere Gegenwart und damit unsere Zukunft. Wir sind in einem Kreislauf, einem Gefängnis gefangen, das wir uns selbst aufgebaut haben. 

Befindest du dich auch in einem Gefängnis? 

Vorstellungsvermögen (Zukunft): 

Absolut, unsere Vergangenheit hat potentiell einen großen Einfluss auf unsere Zukunft. Schließlich wird jede Zukunft einmal Vergangenheit, das heißt aber nicht, dass jede Vergangenheit auch unsere Zukunft werden sollte. Je mehr wir uns mit unserer Vergangenheit jedoch identifizieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir eben jene Vergangenheit in Zukunft wieder erleben werden. 

Vielleicht ein kleines Beispiel hierzu: 

“Meine beste Freundin in Jugendtagen war eher extrovertiert, sie war lebhaft, konnte gut mit Worten umgehen und war dazu in der Lage, unsere Klasse zu unterhalten, ohne dass sie dabei anmaßend, arrogant oder überheblich wirkte. Naja, wir verbrachten auch viel Zeit außerhalb der Schule miteinander. Sie hat mir auch dabei geholfen, mit meiner damaligen großen Liebe zusammenzukommen. Sie war einfach wie sie ist und hat es klar gemacht, ich weiß gar nicht mehr genau, was oder wie sie es gemacht hat.” 

“Nach so ca. 2 Monaten habe ich gemerkt, dass er sich irgendwie mehr zu ihr als zu mir hingezogen gefühlt hat. Immer wenn wir Zeit miteinander verbracht haben, hatte ich das Gefühl, dass da irgendwas zwischen den beiden ist. Und naja, nach ein paar Wochen war es dann auch soweit, mein Verdacht hat sich bestätigt. Er hat Schluss gemacht und ist direkt mit ihr zusammengekommen. Sie hatte wenigstens den Anstand, es mir ins Gesicht zu sagen. Wir waren danach keine Freunde mehr. Sie lebten ihr Leben, ich lebte meins und zog meine Lehre daraus.”

“Mittlerweile erwachsen und das gebrochene Herz aus der Jungend geheilt, habe ich wieder Freunde. Ich sehe meine damalige beste Freundin zwar hin und wieder, ich rede aber nicht mit ihr und das will ich auch nicht. Jedes Mal kommen diese Erinnerungen an die Zeit wo sie mir meinen Freund ausgespannt hat und ich mich einfach nur dreckig und verarscht gefühlt habe. Ich bin vorsichtiger als heute, damit mir sowas nicht nochmal passiert. Ich wähle meine Freunde sehr sorgfältig aus, ich bin eher noch zurückhaltender geworden, manchmal ziehe ich mich auch für längere Zeit zurück. Meine Freunde lassen mich dann in Ruhe und warten, bis ich wieder auftauche. Ich habe das mal gegoogelt und fast alles deutet darauf hin, dass ich depressive Episoden habe. Wie auch immer, ich habe mich dann mal umgehört und habe auch ein paar Profis gefunden, die mir helfen könnten. Es hilft, aber es braucht Zeit. Dann habe ich diesen Typen gesehen, ich war quasi Schockverliebt. Es war, als hätte etwas in mir einen Schalter umgelegt. Er sieht mich und ich weiß, dass er dasselbe sieht wie ich. Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich kann ja nicht einfach auf ihn zugehen und ansprechen. Ha, er macht das für mich, er kommt auf mich zu, ist charmant und freundlich, er hat so eine Art an sich wie…. GENAUSO WIE SIE DAMALS. Er genießt es auch, im Mittelpunkt zu stehen und kann andere mit seinem Charm einwickeln. Plötzlich ändert sich sein Gesicht, er wird geradezu hässlich und irgendwie weiblich… er wird zu IHR…”

“Ich habe ihn danach noch ein paar Mal gesehen, aber er sah aus wie sie. Meine Gefühle waren zwar noch ein bisschen da, aber diese anderen Gefühle überwiegen jetzt. Ich werde kein Wort mehr mit ihm wechseln.”

Unsere Erfahrungen der Vergangenheit, also unsere Erinnerungen, sind dafür gedacht, unser Überleben zu sichern. Sicher benötigen wir keine große Liebe, um zu überleben. Grundsätzlich brauchen wir nur Nahrung und Flüssigkeit, rein biologisch betrachtet. Zum Überleben ist es notwendig, vor Gefahren auf der Hut zu sein und Erfahrungen zu sammeln, damit wir diese Gefahren besser einschätzen können. 

Ihre Freundin, die die große Liebe ausgespannt hat, war eine Bedrohung für Sie. Diese Bedrohung wurde zur Gefahr und hat schließlich Schaden angerichtet. Dieser Schaden, dieser Schmerz war real und hat auch entsprechende Gefühle, Gedanken und Handlungen ausgelöst. Es war aber nicht lebensbedrohlich. (Vielleicht könnte man argumentieren, dass der Fortpflanzungstrieb als ein Überlebensinstinkt hier bedroht wurde. Absolut, aber für die Fortpflanzung benötigt man keine Liebe, grundsätzlich benötigt man nur funktionsfähige Fortpflanzungsorgane und ein wenig Zeit). Es fühlte sich aber lebensbedrohlich an. Und genauso wurde es auch abgespeichert. Diese (ehemalige) beste Freundin und ihre Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und Merkmale wurden als gefährliche Bedrohung abgespeichert. Jedes Mal, wenn Sie also an diese Bedrohung dachte, wurden die Erinnerungen aufgefrischt (die neuronalen Bahnen wurden gefestigt, wie ein oft benutzter Trampelpfad, den man nach einiger Zeit fast blind entlang laufen kann). Zum Schutz vor zukünftigen Gefahren wurde also sichergestellt, dass alles, was auch nur Ähnlichkeit mit dieser Person oder Situation der Vergangenheit aufweist, als Bedrohung eingestuft, negativ behaftet und entsprechend gemieden oder bekämpft wird.  

Hätte es eine wunderbare Beziehung werden können mit ihm? Hätte es dazu geführt, dass sie das Leben anders wahrnimmt? Hätte sie damit ihre persönlichen Probleme bewältigen können? Ehrlich beantwortet müssen wir sagen, dass wir es nicht wissen, keiner von uns. Es lässt sich aber mit Sicherheit sagen, dass sie eine potentielle Möglichkeit im Keim erstickt hat aufgrund ihrer Vergangenheit und dies unweigerlich einen Einfluss auf ihre Zukunft hat. 

Sie lebt also in der Gegenwart, beeinflusst von ihrer Vergangenheit, welche ein Teil ihrer Identität geworden ist und wünscht sich eine Zukunft, die anders (besser, angenehmer, freier, liebevoller, sicherer, was auch immer) ist? Das ist, als ob ich im Restaurant ein Bier bestelle, schön gekühlt, mit optimaler Schaumkrone, aber dann doch irgendwie erwarte, ein Wasser zu bekommen und mich dann noch darüber wundere, dass ich ein Bier bekomme. 

Unsere Vorstellungskraft ist nicht Grenzenlos. Sie ist an unsere Erinnerungen gebunden und dadurch limitiert. 

Ich hätte im Restaurant unmöglich ein Drehl bestellen können. Ich habe auch keine Ahnung, was das ist, ich habe auch nichts in meiner Erinnerung, was ich damit in Verbindung bringen könnte. Ich kann mir natürlich etwas ausdenken und ausmalen, aber dafür muss ich wiederum auf meine Datenbank zurückgreifen, die wir bis dato Erinnerung genannt haben. Demnach wird also nichts neues erschaffen, es wird ausschließlich recycled. Sollte ich irgendwann mal eine tatsächliche Erfahrung mit Drehl machen, kann ich eine Vorstellung hinzufügen und diese dann auch in meine Zukunft projizieren.

Wenn wir uns unter etwas nichts vorstellen können, können wir auch unsere Erinnerungen (unsere Vergangenheit) nicht zu Rate ziehen und in diesem Falle auch keine konkrete Vorstellung haben. Es ist eine Möglichkeit, etwas zu erfahren, ohne dabei von der Vergangenheit beeinflusst zu werden. Dazu gehört allerdings ein etwas anderer Umgang oder besser gesagt eine andere Sichtweise auf unser Erinnerungsvermögen und unsere Vorstellungskraft. 

Wir können uns unsere Erinnerungen vorstellen.

Wir können uns unserer Vorstellungen erinnern.

Aber wir können uns nicht erinnern, wie wir uns vorstellen zu entkommen.

Dies ist unser Kreislauf des Lebens.

Ich bin eine Möglichkeit, du bist die Entscheidung

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